Liebe Schwestern und Brüder!

 

Das Heilige an sich hat es heutzutage schwer. Es leidet massiv unter Bedeutungsverlust. Warum? Ist es nicht mehr willkommen? Entzieht es sich leise – und was für eine Leere hinterlässt es?

In der Geschichte des kolumbianischen Schriftstellers Gabriel Garcia Márquez wird erzählt, wie eines Tages in einem Dorf bei einer Familie „ein sehr alter Herr mit riesengroßem Flügel“ (so der Titel der Kurzerzählung) auftaucht. Die Familienmitglieder sehen zwar, dass er ein Engel ist, aber sie wissen nichts mit ihm anzufangen und sperren ihn in den Hühnerstall. Schnell spricht sich die Ankunft des Engels herum; man strömt zu ihm, die einen sensationsbedürftig, die anderen in Hoffnung auf Hilfe und Heilung von Krankheiten. Der Engel reagiert nicht, das Interesse erlahmt, neue Attraktionen kommen auf. Nahezu unbemerkt fliegt der alte Engel eines Tages davon.

nach: G. Garcia Márquez, Das Licht ist wie das Wasser. Geschichten von der Liebe und anderen Dingen, Frankfurt 2006.

Liebe Schwester und Brüder diese Geschichte stellt uns die Frage: hat das, was heilig ist noch eine Bedeutung für uns Menschen in dieser Zeit? Oder vielmehr die Frage, was beachtet der Mensch als heilig heutzutage? Nur das, was ihm einen Nutzen bringt?

Was ist mir (heute noch) heilig? Gehen wir mal auf Spurensuche! Worauf richtet sich mein Sehnen und Verlangen mit ganzer Energie? Was würde ich für kein Geld dieser Welt hergeben? Worauf würde ich nie verzichten können? Ist mir meine Familie, sind mir meine Kinder und Enkelkinder, meine Eltern und Großeltern heilig, mein Freundeskreis, mein Urlaub, meine Gesundheit, mein Haustier, mein Handy, mein Auto, mein eigenes Wohlergehen? Sind es meine Prinzipien, meine Gefühle? Die Schule und die Kitas, die Krankenhäuser und das Ärzte- und Pflegepersonal sind in dieser Krisenzeit heilig, von großer Bedeutung geworden.

Das eigene Arbeitsplatz und seine Grundsicherung sind einem heilig. Auch die eigene Freiheit, die eigene Meinung und die Sicherheit sind einem heilig.

Das, was uns Nutzen bringt und „heil“ verspricht, das ist uns heilig geworden. Ist das Nutzen aber allein als Kriterium für das, was ich als heilig erachte? Nein! Über all unsere irdischen Heiligtümer hinaus, steht der ganz allein Heilige, Gott. Und er steht nicht über unsere Sorgen, Ängste, Krankheiten und Leiden drüber, sondern mittendrin. Am Kreuz Jesu Christi, in seinem eigenen Leid und Tod zeigt sich das Heilige an sich. Am Kreuz gehängt und leidend, auf das Verpönen und das Verspotten der Menge antwortet Jesus: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

Gerade diese Szene zeigt, dass es manchmal Situationen gibt, in denen Menschen sogar nichts mehr heilig ist und sich sinnlos und gedankenlos dem Hass und Gewalt überlassen. Furchtbare Abgründe des Bösen tun sich auf, wenn einem gar nichts mehr heilig ist. Und gerade in dieser Szene zeigt sich auch auf, dass es etwas Heiliges gibt, das unsere eigene Heiligvorstellungen übersteigt, ein Mensch und Gott, der vergibt und verzeiht, der liebt trotz aller Lieblosigkeit in seiner Hingabe am Kreuz. Und es ist immer eine Entscheidungssache, auf welche Seite ich mich stelle!

 

Über alle „unsere aufgezählte eigene irdische Heiligtümer“ hinaus tut sich hier etwas auf, das das Schwere, den Hass, die Gewalt mit Vergeben, Barmherzigkeit und Liebe beantwortet und überhäuft wird. Und das ist Heilig! Das ist Heilig, was sich nicht vom Nutzen und Gewinn im eigenen Handeln und Agieren abhängig macht. Das ist Heilig, was Leben und Lieben in sich selbst hat, und nicht einfach auf Umstände, auf menschliches Verständnis oder Unverständnis reagiert, sondern einfach weiter liebt. Zur Teilnahme an dieser Heiligkeit ruft uns Menschen Gott in seinem Sohn Jesus Christus: „seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.

Liebe Schwestern und Brüder, in der aktuellen Krisensituation, in der wir uns hier zu Lande und in der Welt befinden, bedürfen wir das Heilige, das über „unsere eigenen irdischen Heiligtümer“ hinausgeht.

Die Welt steckt nicht nur in einer Coronakrise. Sie steckt in einer allgemeinen Krise, weil sie das Heilige an sich vergessen, verdrängt, ja im Hühnerstall gesperrt hat. Die Coronakrise zeigt es nur deutlicher, dass wir auf „unsere irdische Heiligtümer“ allein nicht bauen können, sondern Gottes Heiligkeit bedürfen!

Wie es in den letzten Wochen über unsere Gegend als Corona Hotspot und über die Bewohner und ihre Bürgermeister gesprochen, ja getratscht wurde, das war nicht mehr lustig, das war mehr als gehässig und gemein. Eine Portion Gehässigkeit kann jeder ertragen. Aber Maßlose Anschuldigungen und Respektlosigkeit vor der Würde des anderen dürfen nicht geben.

Der gegenseitige Respekt im Denken, Reden und Handeln, der respektvollen Umgangston in einer Diskussion oder Debatte ist so etwas Heiliges, das dem heiligen Gebot der Liebe zu sich selbst und dem Nächsten entspringt.

 

Das Fest Allerheiligen, sagt uns heute zu: dass wir der Gemeinschaft Allerheiligen gewiss sein können, die uns ein Vorbild sind, die Fürsprecher in unseren eigenen Nöten und Ängste sind. Das Fest Allerheiligen ermutigt uns, ja fordert uns als Christen sogar auf, wieder einmal mehr nach den Seligpreisungen Jesu zu leben, barmherzig, friedenstiftend, tröstend, und rein im Herzen zu leben und zu wirken, und somit das Heilige durchscheinen lassen, das unsere Welt, wir selbst bedürfen, Amen!